Treffen der Interessengemeinschaft Fahrradstadt Münster

Warum Münster nicht mehr Fahrradhauptstadt sein sollte

Der Fahrradklimatest vom ADFC ist seit Jahren die Kenngröße, an der die Fahrradfreundlichkeit von Städten in Deutschland gemessen wird. An der Umfrage kann jedeR teilnehmen, sie ist jedoch nicht repräsentativ. Trotzdem hat sich der Klimatest als entscheidender Gradmesser für den Zustand des Radfahrens in Deutschland etabliert und die Ergebnisse werden von Radfahrenden, PolitikerInnen, Stadtverwaltungen und Stadtmarketings jedes Mal mit Spannung erwartet. Wobei das mit der Spannung in den letzten Jahren so eine Sache war: Sie war quasi nicht vorhanden. Zumindest wenn es darum ging, welche Stadt das Städteranking der Kategorie 200.000+ Einwohner gewinnt. Seit Beginn des Tests hat sich hier Münster scheinbar ein Abo auf den Sieg gebucht. An dieser Stelle möchten wir deshalb einmal die vergangenen Ergebnisse analysieren und schauen, wie viel „Fahrradhauptstadt“ in Münster noch steckt.

Schaut man sich die Historie der Ergebnisse im Groben an, so fällt auf, dass Münster seit Ende der 90er Jahre stets den ersten Platz im Klimatest belegt. Das dürfte den meisten, die sich mit dem Thema Radfahren beschäftigen auch schon aufgefallen sein, jedenfalls tun Politik, Verwaltung und vor allem das Stadtmarketing alles, damit dieses Image der fahrradfreundlichsten Stadt Deutschlands überregional bestmöglichst platziert wird. Interessanterweise ist es dabei allerdings so, dass es vor allem in der Presse kaum einen genaueren Blick auf die Ergebnisse gibt. Hier wird dann regelmäßig mit „Münster zum x-ten Mal fahrradfreundlichste Stadt“ getitelt, ohne das Ergebnis zu hinterfragen. Man hat sich dran gewöhnt, dass hier im Herzen von Westfalen das Fahrradparadies ist.

Dabei zeigt ein Blick in die Details ziemlich deutlich, warum es den Verantwortlichen eigentlich ganz lieb sein müsste, dass keine weiteren Fragen gestellt werden. Denn: Die Ergebnisse gehen seit Jahren katastrophal den Bach runter. 

Jahr / Ergebnis [Schulnoten]

2003 / 1,88
2005 / 2,05
2012 / 2,6
2014 / 2,5
2016 / 3,07

Schaut man sich die Ergebnisse in den Gesamtnoten an, so wird deutlich, dass Münster, abgesehen von der kleinen Verbesserung 2014, eine deutliche Talfahrt hinlegt. Karlsruhe und Freiburg hingegen, die beiden anderen Podiumsplätze von 2016, zeigen eine genau gegenläufige Entwicklung: Sie werden offensichtlich immer besser. Außerdem ist erkennbar, dass es an der Spitze sehr eng wird. Während der Vorsprung von Münster auf die Konkurrenz in frühen Jahren des Klimatests stets deutlich und komfortabel war, so gab es 2016 nur noch einen hauchdünnen Abstand von 0,02 Punkten gegenüber Platz 2 (Karlsruhe: 3,09) – mal ganz abgesehen davon, dass es ziemlich bezeichnend für den Radverkehr in Deutschland und Münster gleichermaßen ist, wenn ein schlechter werdendes Mittelmaß immer noch Spitzenreiter ist.

Guckt man, welche Schwerpunkte die Befragten bei den Stärken und Schwächen in Münster angeben, so sind diese eigentlich seit Jahren gleich. Als Stärken werden genannt, dass alle Rad fahren, dass die City gut erreichbar ist und viele Einbahnstraßen für gegenläufigen Radverkehr geöffnet sind. Diese Errungenschaften sind aber nicht so wahnsinnig positiv der Verwaltung oder Politik zuzuschreiben, wenn man sich die Topografie der Stadt im flachen Westfalen anschaut und schlicht geltendes Recht umgesetzt wird. Bei den negativen Aspekten hingegen wird sehr deutlich, wo die Verantwortlichen seit Jahren den Anschluss an echte Radverkehrsförderung verloren haben: zu schmale und kaputte Radwege, Konflikte mit dem motorisierten Verkehr und das ewige Leid der Diebstähle. Bei diesen Bewertungen müssen sich die oben genannten Akteure mindestens Handlungsunwillen, wenn nicht sogar Ignoranz vorwerfen lassen.
 

Radweg_Muenster
Benutzungspflichtiger Radweg an der Hüfferstraße (~ 70cm Breite)


Alle genannten Probleme liegen in der Verantwortung der Stadt und hätten in den letzten Jahren angegangen werden können. Stattdessen wird weiterhin an der Radwegbenutzungspflicht auf handtuchbreiten Buckelpisten festgehalten, die Sanierung von Radwegen läuft schleppend bis gar nicht, Abstellanlagen werden ersatzlos abgebaut, man wundert sich seit über 20 Jahren, dass Menschen mit dem Rad zum Bahnhof fahren und die Ordnungspartnerschaft „Sicher durch Münster“ war rückwirkend betrachtet ein Desaster. Trotzdem bekommt man den Eindruck, dass es überall nur ein „weiter so“ gibt.

Beispiel Ordnungspartnerschaft: Ziel des interdisziplinären Arbeitskreises aus Verwaltung, Ordnungsbehörden und Verbänden war es, in zehn Jahren einen Rückgang der Unfallzahlen um 10 Prozent zu erreichen. Nach Abschluss des Projektzeitraums waren es insgesamt nicht mal ein Prozent. Die Unfallzahlen für Radfahrende sind sogar um fast 30 Prozent gestiegen. Das alles ist wissenschaftlich begleitet und analysiert von der Unfallforschung der Versicherer, die auch konkrete Vorschläge machen und die bisherigen „Lösungen“ kritisch sehen. Warnwesten und  Speichenreflektoren verteilen, Ampelspiegel anbringen: Alles nicht wirksam. Was wirklich helfen würde sind (wenig überraschend) bauliche Veränderungen in der Infrastruktur.

Beispiel Abstellanlagen: Zwischen 2003 und 2017 wurden im Herzen von Münsters Innenstadt 1.523 Stellplätze für Fahrräder abgebaut. Im gleichen Zeitraum kamen 347 Stellplätze für Autos dazu. Vor allem am Hauptbahnhof ist die Stellplatzsituation seit Jahren eine Katastrophe. Ja, wir haben die größte Radstation Deutschlands, die ist aber quasi seit dem Eröffnungstag ausgebucht und nicht 24/7 zugänglich. Während der Radverkehrsanteil massiv gestiegen ist und immer mehr Menschen multimodal pendeln, stagnieren die Kapazitäten der Abstellanlagen hier seit 20 Jahren.

Dies sind nur zwei von vielen Beispielen. Insgesamt entspricht die Aufteilung der Verkehrsfläche in Münster bei weitem nicht dem Verkehrsaufkommen und auch nicht dem Label „Fahrradhauptstadt“, von Flächengerechtigkeit kann keine Rede sein. Weitere Punkte analysieren wir konstruktiv regelmäßig in unserem Blog.

Jetzt könnte man denken, seit der Vorstellung der Ergebnisse des letzten Klimatests hätte die Stadt gemerkt, dass etwas passieren muss. Das Problem ist aber nach wie vor, dass die Maßnahmen, die ergriffen werden, leider sehr häufig reine Symbolpolitik sind, nie Ursachen, sondern nur Symptome bekämpfen. Zum Beispiel sollen alle Fahrradstraßen rote Farbe auf die Fahrbahn bekommen, um diese sicherer zu machen. Dabei sind die Probleme zu viel motorisierter Durchgangsverkehr und vor allem zu viele parkende Autos.
 

Fahrradstraße_Muenster
Eine „Fahrradstraße“ wie viele andere in Münster: Die Schillerstraße verdient ihren Namen nicht – beidseitig zugeparkt, viel Pkw-Durchgangsverkehr. Sicheres Radfahren? Fehlanzeige.


So ist Münster so wie alle anderen Städte auch: eine Autostadt, nur halt mit vielen Rädern. Sowohl der Verwaltung als auch der Politik fehlt schlicht und ergreifend der Mut, dem motorisierten Verkehr in der Stadt Platz wegzunehmen, und ein Fahrplan dafür, wie das in naher Zukunft umzusetzen ist. Es wird sich stattdessen auf längst vertrockneten Lorbeeren ausgeruht.

Es bleibt natürlich auch beim aktuellen Testdurchlauf abzuwarten, wie die Ergebnisse sein werden und auch wir werden im Frühjahr 2019 gespannt warten, ob Münster seinen Titel verteidigt oder tatsächlich vom Thron gestoßen wird. Unserer Ansicht nach, wäre es ein gutes Symbol und ein klarer Appell an die Verantwortlichen, wenn das passieren würde. Wahrscheinlich wäre genau das auch der nötige Weckruf für die Politik, dass es einfach nicht mehr mit „wird schon werden“ weitergeht, sondern endlich echte Lösungen schnell umgesetzt werden müssen. Wahrscheinlich ist der drohende Imageverlust für die Stadt um ein vielfaches schwerwiegender, als der Wille ein nachhaltiges und sinnvolles Verkehrskonzept zu bekommen.

Deshalb, liebe Städte und Initiativen in Deutschland: Schaut nochmal genau, was ihr euch von der „Fahrradhauptstadt“ Münster wirklich abgucken möchtet. Ein paar gute Beispiele gibt es nämlich trotz aller Kritik auch. Und meldet euch gerne, wenn ihr mal in der Gegend seid, dann drehen wir eine Runde durch die Stadt!

Website: www.fahrradstadt.ms
Facebook: www.fb.com/fahrradstadtMS
Twitter: www.twitter.com/FahrradstadtMS
Mail: info@fahrradstadt.ms