Medusa-Lärmprotokoll

Ruhe, bitte! Dank neuer „Lärm-Blitzer“ sollen französische Straßen ruhiger werden.

Lärm macht krank und reduziert die Lebensqualität massiv – das beweisen inzwischen diverse Studien. Im Kampf gegen den Lärm nutzen französische Kommunen neue Technologien: Mit „Lärm-Blitzern“ soll der Straßenverkehr leiser und Lärmsünder wie Fahrer*innen von getunten Motorrädern zur Kasse gebeten werden. Sophie Le Grand, Assistentin der Geschäftsführung, und David Bernfeld, Entwicklungsingenieur der NGO Bruitparif, beantworten im Interview mit Changing Cities die Fragen von Katharina Schlüter.

Sophie, kannst Du bitte kurz das Unternehmen „Bruitparif“ vorstellen? Wem gehört es, wie groß ist es und welche Ziele verfolgt es?

Bruitparif ist eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in Paris. Sie vereint insgesamt 92 Stakeholder aus verschiedenen Bereichen, wie dem französischen Staat, Kommunen der Region Île-de-France, Umweltverbände und Unternehmen wie die französische Bahn. Wesentliche Unternehmensziele sind die Evaluation von Lärm in der Île-de-France, die Unterstützung öffentlicher Akteur*innen bei der Reduktion von Lärmemissionen und die Steigerung der öffentlichen Aufmerksamkeit für das Thema Lärm. Bruitparif hat ca. 15 Mitarbeitende und finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen, Fördergeldern für R&D-Projekte sowie durch Umsatz aus der Bereitstellung von Services. Während Bruitparif gemeinnützig ist, verantwortet die 100-prozentige Tochter Viginoiz die Kommerzialisierung der Medusa-Technologie.

David, als Ingenieur unterstützt Du die Entwicklung der Medusa-Technologie. Was kann Medusa?

Der Medusa-Sensor visualisiert Lärm und die Lärmquellen wie Bars, Verkehr und Baustellen in einer 360°-Ansicht. Die meisten Messungen der Medusa-Sensoren werden veröffentlicht. So kann man auf unserer Website die Messergebnisse einzelner Sensoren anschauen – und das sogar in Echtzeit. Auf Basis der Messungen lassen sich evidenzbasiert Entscheidungen zum Beispiel im Rahmen der Stadtplanung treffen.

Karte der Medusa-Lärmmessungen
Übersichtskarte über die Medusa-Lärmmessungen

 

Die Darstellung ist sehr detailliert. Theoretisch könnte man sehen, wann in einer Wohnung eine Party gefeiert wurde. Gibt es hier keine Datenschutzbedenken, Sophie?

Medusa ist patentiert und datenschutzrechtlich zertifiziert. Wichtig ist natürlich, dass keine Personen zu erkennen sind. Außerdem wird nur die Lautstärke gemessen, aber keinerlei Aufnahmen gemacht, über welche sich zum Beispiel Gespräche rekonstruieren lassen würden. Wir haben auf allen Sensoren Aufkleber mit unseren Kontaktdaten – bislang gab es zum Thema Datenschutz keinerlei Anfragen. Tatsächlich ist es sogar umgekehrt: Bei einem Barbesitzer wurde eingebrochen und er wollte unsere Aufzeichnungen nutzen, um die Täter*innen zu identifizieren. Dies ist aber gar nicht möglich, da die Bilder nur alle 15 Minuten aufgenommen und gleich wieder gelöscht werden. Außerdem werden Personen nur verschwommen dargestellt.

Medusa ist nur die halbe Geschichte. Mit den neuen „Hydra-Lärm-Blitzern“ auf Basis der Medusa-Technologie können bald Auto- und Motoradfahrer*innen geahndet werden, die lauter sind, als es die französischen Richtwerte zulassen. David, wie funktioniert das?

Im Grunde ist Hydra eine Erweiterung und Weiterentwicklung der Medusa-Sensoren. Auch Medusa kann die Lärmemission einzelner Autos oder Motorräder messen. Diese Messungen werden z. B. über Displays am Straßenrand gezeigt, so dass die Verkehrsteilnehmer*innen ihr Verhalten hoffentlich individuell anpassen. Mit Hydra gehen wir einen Schritt weiter: Ziel ist es, Lärmverstöße zu sanktionieren – genauso, wie es schon lange mit Verstößen gegen Geschwindigkeitsbegrenzungen geschieht. Im Grunde kombiniert Hydra zwei Medusa-Sensoren. So können wir sehr genau einzelne Autos oder Motorräder identifizieren, die gegen die Lärmregularien verstoßen. Der Rest wird genauso funktionieren wie bei Geschwindigkeitsmessern: Eine spezielle Kamera erfasst das Nummernschild, so dass die Polizei die Ordnungswidrigkeit ahnden kann.

Kannst Du für technische Laien zusammenfassen, was an Euer Technologie neu ist?

Hydra erlaubt erstmals die Erkennung und Ahnung lauter Fahrzeuge in einer komplexen Umgebung wie einer Straße mit dichtem Verkehr. Die Innovation liegt in der Kombination von Technologien in einem Gerät. Zunächst wird die Position des Fahrzeugs akustisch gemessen und auf einer 180°-Ansicht abgebildet. Die Position wird dann genutzt, um den Geräuschpegel zu bewerten. Durch die Kombination von acht Mikrofonen ist Hydra in der Lage, Rauschen aus allen Richtungen herauszufiltern. So misst Hydra nicht die gesamten Umgebungsgeräusche, sondern nur den Geräuschpegel, welcher aus der Richtung des lautesten Fahrzeugs kommt.

Hydra wird aktuell pilotiert. Sophie, wie läuft das ab und wie soll es weitergehen?

Wir befinden uns aktuell in der ersten von drei Phasen. Dabei wird nicht nur unser Hydra-Gerät ausgetestet, sondern auch die Geräte von zwei weiteren Firmen, von Aacoemn und MicroDB. Die Hydra-Tests werden in drei Kommune der Île-de-France durchgeführt, federführend ist das französische Umweltministerium. Da es sich um eine komplett neue Technologie handelt, müssen in einer zweiten Phasen Spezifikationen definiert werden. Auch das Thema Datenschutz spielt hier natürlich eine wichtige Rolle. In der abschließenden dritten Testphase wird dann die Übertragung der Verstöße an die Polizei sowie die Sanktionierung getestet. Die dritte Phase soll bis 2022/2023 abgeschlossen sein.

Sophie, ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sowohl Medusa wie auch Hydra nicht nur für französische Kommunen spannend ist. Sind Eure Geräte auch im Ausland erhältlich? Ich kenne auf jeden Fall ein paar gute Spots für den Lärm-Blitzer in Berlin …

Perspektivisch soll die Technologie auch außerhalb Frankreichs verfügbar sein. Den Medusa-Sensor kann man aktuell schon mieten. Allerdings haben wir aufgrund der Chipkrise in der Beschaffung ziemliche Schwierigkeiten. Unsere Priorität haben daher aktuell Kommunen der Île-de-France. Hydra selbst ist noch nicht so weit – da müssen wir erstmal die Testphasen durchlaufen.

Auf welche Kosten müssen sich denn die Kommunen einstellen, die sich für Medusa oder perspektivisch Hydra interessieren?

Medusa ist aktuell für rund 500 Euro pro Monat zu mieten, dazu kommt die Installation. Hydra wird aufgrund der Komplexität deutlich teurer, wir schätzen den Kaufpreis derzeit auf 40.000 Euro. Aber wie gesagt: Das ist ohnehin noch Zukunftsmusik.

Viel Erfolg für die Testphasen und vielen Dank für das Gespräch!

 

Medusa-Messergebnisse:

https://monquartier.bruitparif.fr