Mit Rad und Tat – Ehrenamtliches Engagement in Berliner Radinitiativen

Stellt euch einen riesigen, kunterbunten Haufen von Fahrradteilen vor. Geschwungene Lenker treffen auf geometrische Rahmen, ein knallroter Sattel glänzt, ein Pedal dreht sich, da hinten funkelt eine Felge. Jetzt kommen ein paar Leute zusammen und fangen an, aus diesen ganzen Teilen ein paar Räder zu bauen. Hier ein bisschen schrauben, dort ein neuer Schlauch... und zack, ein rosa Rennrad entsteht, ein MTB erwacht zu Leben und ein Hollandrad will endlich zum Einkaufen fahren. So in etwa kann man sich die vielen Berliner Radinitiativen vorstellen – hier treffen sich Leute mit einer Vision und gestalten zusammen Neues. So ungefähr sehen auch einige der Initiativen tatsächlich aus. Die meisten von ihnen verdanken ihre Existenz auch oder sogar ausschließlich dem Engagement von Ehrenamtlichen. Sie haben mit ihrem Enthusiasmus in den letzten Jahren jede Menge unterschiedliche Radinitiativen auf die Beine gestellt und in Bewegung gebracht: Antikapitalistisches DIY Festival, offene Werkstatt für alle, mit Menschen mit Fluchterfahrung, Raddemos und autofreie Kieze – Fahrrad-Engagement hat viele Gesichter. Vier davon möchten wir euch vorstellen. Hier erzählen euch Jonas von Rückenwind, Tatze von FRE!LAUF, Paulin von Bike Kitchen North East und Mascha von Changing Cities, was genau sie machen und was sie antreibt.

Ein Überblick von Meike Klom

 

Jonas von Rückenwind e.V.

Jonas von Rückenwind
Bild: Ahmad Ali

Bei welcher Organisation engagierst du dich?

Ich engagiere mich ehrenamtlich bei Rückenwind – Bikes for refugees.

Was macht deine Organisation?

Rückenwind ist ein gemeinnütziger Verein, der in Berlin-Neukölln eine Fahrrad-Selbsthilfewerkstatt betreibt. Menschen mit Fluchterfahrung können sich über unsere Website für ein Fahrrad anmelden. Die Räder werden von Berliner*innen an unseren Verein gespendet. In gemeinsamer, ehrenamtlicher Arbeit von (Neu-)Berliner*innen mit und ohne Fluchterfahrung bringen wir diese wieder in einen verkehrstauglichen Zustand. Danach erfolgt die Ausgabe der reparierten Fahrräder.

Was genau ist deine Aufgabe?

Ehrenamtskoordination, Werkstattorganisation, Öffentlichkeitsarbeit, Eventplanung, Fundraising, Reparatur von Fahrrädern, Anleitertätigkeiten bei Fahrrad-AGs, Organisation von Fahrradtouren.

Wie bist du dazu gekommen, dich dort zu engagieren?

Ich war schon lange daran interessiert, mich ehrenamtlich zu engagieren. An sozialen Projekten in Berlin mangelt es nicht; auf Rückenwind gestoßen bin ich schließlich über GoVolunteer. Der ausschlaggebende Punkt war, dass ich meine Fahrradaffinität damit verbinden kann, Menschen mit Fluchterfahrung zu helfen. uUnd mich gleichzeitig für eine Ausweitung der Fahrradmobilität und einer nachhaltigen Verkehrswende einsetzen kann.

Was genau gefällt dir am meisten daran?

Wir schaffen in unserer Werkstatt einen Raum des Austauschs, in dem Herkunft, Religion, Geschlecht oder anderes Schubladendenken keine Rolle spielt. Hier treffen sich Menschen auf Augenhöhe, überwinden Sprachbarrieren und teilen die gemeinsame Begeisterung für das Fahrrad(-fahren). Mit unserer Arbeit können wir bedürftigen (Neu-)Berliner*innen eine kostengünstige Mobilität ermöglichen. Denn nur wer sich frei bewegen kann, lernt seine/ihre Umwelt besser kennen und kann am gesellschaftlichen Leben teilnehmen.

Gibt es einen besonderen Moment, den du mit deinem Engagement verbindest?

Statt von Momenten zu sprechen, denke ich eher in Begegnungen – und davon gibt es zahlreiche. Jeder Mensch und jedes Fahrrad haben Geschichten im Gepäck, beide mitunter weite Strecken hinter sich gebracht. Rückenwind ist hier vor allem Begegnungsort und möchte diese Geschichten zusammenbringen. Wer am Fahrrad lernt, lernt auch vom Menschen – was ich extrem bereichernd finde. So möchte ich immer im Austausch bleiben, und zwar über eine Erfindung, die sich nicht neu erfinden muss, um Menschen voranzubringen.

 

Tatze von FRE!LAUF

Tatze von FRE!LAUF
Bild: Anton Capellmann

Bei welcher Organisation engagierst du dich? 

Ich bin seit 3 Jahren Teil des selbstorganisierten Fahrrad-Camps FRE!LAUF.

Was macht deine Organisation?

Wir verstehen uns als Kollektiv und sind ein Zusammenschluss aus vielen Menschen, inzwischen Freund*innen, deren Hauptinteressen auf nachhaltiger Mobilität, Fahrrädern schrauben und schweißen, gutem Essen, Basteln und Tanzen liegen.

Einmal im Jahr organisieren wir ein DIY Fahrrad-Festival, von Fahrrad-Freund*innen für Fahrrad-, Spaß- und Politikinteressierte. Hier legen wir viel Wert darauf, dass alle das Festival mitgestalten können. Wir agieren solidarisch und sind unkommerziell. Das erwarten wir auch von unseren Gästen.

Wenn gerade kein Corona ist und die Festivalvorbereitungen nicht auf Hochtouren laufen, versuchen wir uns in Berlin politisch, aber auch hedonistisch zu organisieren. Wir nehmen als Team an Demos teil, organisieren Workshops, bieten Siebdruck an oder organisieren Fahrradrennen. Uns ist dabei wichtig, dass die Schwelle, an unseren Veranstaltungen teilzunehmen, niedrig ist, um möglichst vielen Menschen die Chance zu geben, Fahrrad, Punk und Politik lieben zu lernen.

Was genau ist deine Aufgabe?

Da ich von Anfang an dabei bin, habe ich schon in unterschiedlichen Bereichen mitgewirkt. Innerhalb des Kollektivs sind wir in AGs organisiert. Ich habe zuletzt in der Gestaltungs-AG und in der Programm-AG mitgewirkt, also Flyer und Poster für das Camp entworfen und gemeinsam mit den anderen versucht, spannende Workshops und Veranstaltungen zu organisieren.

Wie bist du dazu gekommen, dich dort zu engagieren?

Ich interessiere mich sehr für ökologischen Aktivismus und kann Autos gar nicht leiden. Ich liebe es, Dinge zu verstehen und selbst zu machen: das alles dann auch noch mit spannenden Menschen, die ähnliche Interessen haben wie ich? Super!

Was genau gefällt dir am meisten daran?

DIY, Fahrrad, Zirkus, Punk, Politik? Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Menschen zu empowern gefällt mir sehr: mit Freund*innen sein, Neues ausprobieren, Strukturen entwickeln und verstehen. Ich fühl mich einfach wohl im Freilauf-Team.

Gibt es einen besonderen Moment, den du mit deinem Engagement verbindest?

Durch unser ehrenamtliches Engagement und unseren Enthusiasmus schaffen wir alternative, unkommerzielle Strukturen, ein reflektiertes, sozial-ökologisches Bildungsangebot und bieten einen Raum, in dem sich Menschen fernab des kapitalistischen Gesellschaftssystems ausprobieren und entfalten können. Dafür brennt mein Herz.

 

Paulin von Bike Kitchen North East

Logo Bike-Kitchen North-East

Bei welcher Organisation engagierst du dich?

Ich engagiere mich bei der offenen Fahrradselbsthilfewerkstatt Bike Kitchen North East. Wir sind eine gemeinnützige Werkstatt, die für alle offen steht, ihre Fahrräder mit unserer Unterstützung selbst zu reparieren.

Was macht deine Organisation?

Wir haben einen großen Raum, da lagern wir jede Menge gebrauchte Ersatzteile, auch neue. Falls etwas kaputt ist, können unsere Besucher*innen diese nutzen, um ihr Fahrrad zu reparieren. Wir sind hauptsächlich dafür da, die Werkstatt instand zu halten und bei Reparaturen zu helfen.

Was genau ist deine Aufgabe?

Jeden Mittwoch am Start sein und Leuten mit ihren Fahrrädern helfen, Aufräumen und Sortieren der Werkstatt, Spenden eintreiben, Neuteile bestellen und seit Corona auch Termine vereinbaren.

Wie bist du dazu gekommen, dich dort zu engagieren?

Während meiner Ausbildungszeit zur Zweiradmechatronikerin im Bereich Fahrradtechnik habe ich mich schon in Mainz in einer Bike Kitchen engagiert und für mich war die Bike Kitchen North East ein super Anlaufpunkt, als ich vor 2 Jahren nach Berlin kam. Als ich dann gesehen habe, dass das bei der Kunsthochschule um die Ecke ist, dachte ich, das passt perfekt.

Was genau gefällt dir am meisten daran?

Am meisten gefällt mir das Voneinander lernen und Wiederbenutzen von Gebrauchtteilen. Dadurch, dass bei uns jede*r für die Reparatur des eigenen Fahrrads selbst verantwortlich ist, können wir viel ressourcensparender reparieren, weil das Ergebnis nicht perfekt sein muss. Das gibt mir viel Freiheit, in der Art und Weise, wie Dinge repariert oder wieder benutzt werden dürfen. Es gibt auch unendlich viel Zeit, sich auf bestimmte Probleme einzulassen, die in anderen Werkstätten nicht gemacht werden, weil sie zu zeitintensiv sind. Das ist natürlich auch ein Dilemma, weil sich an dieser Stelle der Wert der Dinge dem Wert der Arbeits-/Lebenszeit gegenüber stellt.

Gibt es einen besonderen Moment, den du mit deinem Engagement verbindest?

Besonders in den letzten Monaten gab es immer wieder Leute mit großen Fahrradprojekten und es war total schön zu sehen, wie Menschen Woche für Woche kontinuierlich an ihren Rädern schraubten und ihre Projekte zu Ende brachten. Das sind große Erfolgsmomente. Ich mag auch die Momente, wenn die Leute, die zu uns kommen, am unterschiedlichsten sind und vielleicht sonst gar nicht in Kontakt miteinander treten würden. Letztens war auch eine ältere Frau da, die sich erst gar nichts zugetraut und auch meine Kompetenz als weiblich gelesene Person in Frage gestellt hat. Letztendlich hatte sie dann überhaupt keine Probleme, ihr Fahrrad zu reparieren. Das war toll.

 

Mascha von Changing Cities

Portrait
Bild: Norbert Michalke

Bei welcher Organisation engagierst du dich?

Bei dem gemeinnützigen Verein Changing Cities e.V.

Was macht deine Organisation?

Changing Cities e.V. setzt sich, sehr allgemein ausgedrückt, für lebenswerte Städte ein.

Der Fokus liegt dabei auf dem Thema Mobilität, der Stärkung des Fahrrad- und Fußverkehrs sowie der Verkehrssicherheit der schwächeren Verkehrsteilnehmer*innen. Changing Cities verfolgt das Ziel, eine gerechtere Verteilung und eine Öffnung des öffentlichen Raumes für alle Menschen herbeizuführen.

Was genau ist deine Aufgabe?

Ich engagiere mich hauptsächlich in unserem „Aktionsteam“, welches für die Organisation, Planung und Umsetzung verschiedener Demonstrations-/Aktionsformate auf der Straße verantwortlich ist.

Wie bist du dazu gekommen, dich dort zu engagieren?

Im Frühjahr 2020 habe ich ein Praktikum im Rahmen meines Studiums bei Changing Cities absolviert. Danach bin ich geblieben.

Was genau gefällt dir am meisten daran?

Mir gefällt die Möglichkeit, sich mit vielen Gleichgesinnten für die unmittelbare Verbesserung der Lebensqualität in meiner Stadt einzusetzen durch die Kombination aus sich über bestimmte Themen zu informieren, zu lesen und zu diskutieren und dann anschließend die Ideen und die Projekte auf der Straße umzusetzen.

Gibt es einen besonderen Moment, den du mit deinem Engagement verbindest?

Es ist ein sehr besonderes Gefühl, mit vielen Menschen während einer Aktion, die eventuell innerhalb sehr kurzer Zeit vorbereitet wurde, auf der Straße zu sein, nicht zu wissen, wie viele Menschen dem Aufruf der Aktion folgen werden und dann am Ende mit so vielen für das gleiche Ziel zu demonstrieren. Der letzte besondere Moment war die Fahrraddemo am 12. Dezember 2020 für die Einhaltung der 1,5°C des Pariser Klimaabkommens.