Zehn Fragen zum FRE!LAUF – DIY Bike-Camp 2018
Ein Interview von Yvonne Hagenbach
Vom 24. bis 26. August 2018 fand in Wriezen das erste Fahrradfestival unter dem Namen „FRE!LAUF – DIY Bike-Camp“ statt. Der Ort – ein Hof etwa 60 Kilometer von Berlin – wurde umarrangiert und zu einer Erlebniswelt rund ums Fahrrad gestaltet. Neben Workshops zum Basteln von Fahrradmützen oder wie man Fahrradstreifen freiräumt, gab es Vorträge beispielsweise über die mitRADgelegenheit zur Weltklimakonferenz und darüber hinaus Siebdruck, eine Bike-Kitchen (Fahrrad-Selbsthilfe-Werkstatt), Fahrrad-Karaoke (Pony Tyler) oder Freakbike- und Kinderrad-Rennen für Erwachsene. Gezeltet wurde auf dem Gelände selbst, geduscht im Freien, gegessen zusammen. Alle Organisator*innen arbeiteten ehrenamtlich und die Teilnehmer*innen haben Aufgaben wie Abwaschen sowie Bar- oder Toilettenschichten ganz selbstverständlich übernommen. Alles stand unter dem Motto „wir und selbst“. In einer Rekordzeit von etwa einem dreiviertel Jahr von der Idee bis zur Eröffnung kam eine Bewegung ins Rollen, die 2019 definitiv fortgesetzt wird.
Veranstalter war die FahrradBande der BUNDjugend Berlin, hierfür habe ich Florian „FloKi“ Keiper, den Initiator der Veranstaltung, befragt. Aufgrund des doch höheren Altersdurchschnitts der Besucher*innen (die BUNDjugend fördert Projekte für bis 27-Jährige) wird das Projekt ab 2019 unter dem Dach von Changing Cities weitergeführt. Knut war Besucher des Festivals und hat vor allem dabei geholfen, technische Probleme zu lösen.
Weil FloKi keine Lust mehr auf einen unbefristeten Arbeitsvertrag hatte, fuhr er 2013 mit seinem Fahrrad von Berlin nach Athen und wieder zurück. Seitdem kann er nicht mehr ohne sein Fahrrad sein. Nur konsequent, dass er als Gründungsmitglied der FahrradBande das FRE!LAUF –DIY Bike-Camp ins Leben gerufen hat. Und außerdem hat er es schon wieder getan: Sein Arbeitsvertrag ist gekündigt und im Frühjahr 2019 beginnt er mit dem Fahrrad durch die Welt zu reisen. NotWithOutMyBike (fahrrad-bande.org/NWMB) eben – so heißt sein Blog.
Knut, der eigentlich Christian heißt, kommt aus Bremen. Er ist Technikfreak und hat schon immer irgendwelche Dinge zerlegt, zusammengebaut, konstruiert und repariert. Früher war er begeistert und fasziniert von Autos und Flugzeugen, doch mittlerweile hat sich seine Meinung zu diesen Technologien gewandelt. Es entstehen sehr große Probleme (Umweltschäden, Ressourcenverbrauch, Emissionen) und Fahrradverkehr ist einfach eine naheliegende Lösung. Aktuell gründet er eine Firma, die nachhaltige Technik entwickelt und Nachbauanleitungen verkauft. Ein Lastenfahrrad zu konstruieren, ist hierbei ein Wunschprojekt.
1.
Wie kommt man auf die Idee, ein Fahrradfestival zu veranstalten? Wen hast du dir dort vorgestellt?
FloKi: „Die Idee kam uns während wir Ende Oktober 2017 mit der mitRADgelegenheit von Berlin nach Bonn zur Weltklimakonferenz geradelt sind. Eine Person von uns meinte, es gibt da so einen Hof in Wriezen, dort könnten wir mal eine größere Veranstaltung machen. Weil die Gedanken bei einer Fahrradtour ziemlich frei sind, stand noch während der Fahrradtour nach Bonn das erste Konzept des Camps. Wir hatten auch direkt einen Arbeitstitel: DIY Bike Fest. Diesen haben wir dann etwas umgewandelt und als Untertitel behandelt. Wen ich mir dort vorgestellt habe, kann ich gar nicht mehr sagen. Ich hatte einfach einen Ort im Kopf, in dem alle so sein können, wie sie sind.“
Was war es, das dich überzeugt hat, zu einem Fahrradfestival zu gehen? Was waren deine Erwartungen?
Knut: „Als Flo mich eingeladen hat, musste ich nicht lange überlegen. Zum einen bin ich Fahrradfan, zum anderen hat mir das DIY-Konzept gefallen. Ich habe erwartet, eine Art Gemeinschaft von Menschen mit ähnlichem Interesse zu treffen, Ideen und Kontakte zu bekommen und diese Erwartungen wurden erfüllt.“
2.
Wie hast du dich gefühlt als es dann tatsächlich los ging und die ersten Gäste kamen?
FloKi: „Das war großartig. Wir hatten alles so geplant, dass wir, sobald die ersten Gäste da sind, mit den Aufbauarbeiten fertig sind. Das hat tatsächlich hingehauen. Und auf einmal liefen die ersten Gäste mit einem Lächeln im Gesicht über das Gelände und du merkst, dass sie sich an dem Ort, den du miterschaffen hast, wohlfühlen. Das ist einfach großartig.
Allerdings gefällt mir hier der Begriff Gäste nicht wirklich. Wir waren einfach alles FRE!LAUF-Menschen an dem Wochenende, ganz egal ob wir mitgeplant und aufgebaut haben oder einfach zum Camp kamen. Letztendlich haben wir alle dafür gesorgt, dass es ein unvergessliches Wochenende wurde. Irgendwer hat immer eine Schicht übernommen und war somit ein Teil des Ganzen.“
Was hast du gedacht als du auf dem Gelände angekommen bist? An was erinnerst du dich als erstes?
Knut: „Als ich ankam, waren etwa sechs Leute damit beschäftigt, Komposttoiletten und Outdoor-Duschen selbst aufzubauen. Ich dachte nur: Sehr cool, jeder packt an und erschafft Dinge selbst, die ansonsten für viel Geld zugekauft werden müssten.“
3.
Erzähl mir deinen besten Moment vom FRE!LAUF!
FloKi: „Echt jetzt? Da muss ich echt gut überlegen. Das ganze Wochenende war mehr oder weniger ein einziger bester Moment. Am Sonntag, als alles vorbei war, gab es einen Moment, in dem habe ich gemerkt, dass wir echt was Besonderes geschaffen haben. Ich bin, nachdem sich alle vom Zeltplatz aufgemacht haben, mit einem Eimer rüber gelaufen, um den übriggebliebenen Müll aufzusammeln. Und soll ich dir was sagen? Da lag kein Müll. Die Leute haben nicht nur auf sich und ihre Mitmenschen achtgegeben, sondern auch auf die Umwelt. Es ist einfach Wahnsinn, zu sehen, wie gut Zusammenleben sein kann, wenn alle ein bisschen Respekt und ein Gespür für ein Miteinander haben. Das ist sehr besonders.“
Knut: „Ich habe einen Vortrag über offene Technologieentwicklung gehalten. Ich wollte zeigen, wie durch das Teilen von Daten und technischem Fachwissen sinnvolle Technologien wie z. B. Lastenfahrräder wesentlich einfacher repariert, modifiziert und entwickelt werden können. Im Vorfeld war ich sehr angespannt (ich rede nicht gerne vor vielen Menschen), doch es war ein schöner Moment, als der Vortrag erstmal begonnen hatte und einige Gäste interessante Fragen gestellt haben. Plötzlich fiel die Anspannung von mir ab.“
Die Toiletten auf dem Camp waren sogenannte Trockentoiletten. Sie werden nicht mit Wasser betrieben, sondern lediglich gegen Geruch mit Sägespänen abgedeckt. Was übrig bleibt, wird zu Kompost – deshalb wurden sie vor Ort auch als Kompoletten ausgeschildert. Man setze sich also in kleine Holzhütten mit Vorhang, an den Wänden hingen Ausgaben der BRAVO aus längst vergessenen Tagen. Und nach dem Händewaschen blieb man meistens noch, um ein kurzen Plausch mit den Menschen der jeweiligen Toilettenschicht zu halten.
4.
Wie fandest du die Bio-Toiletten?
FloKi: „Großartig. Punkt. Es war ja auch mehr als nur die Kompoletten. Dort gab es Musik und es war der erste Treffpunkt auf dem Weg von Camping- zum Festivalgelände. Der Geruch wird übrigens nicht nur durch die Sägespäne abgedeckt sondern vielmehr dadurch, dass Flüssiges von Festem getrennt wird. Alleine dadurch stinkt es viel weniger. Experimentierfreudige unter euch können dies ja zu Hause mal testen. Mensch soll ja nicht alles glauben, was so im Internet steht.“
Knut: „Ich benutzte diese Toiletten selbst relativ regelmäßig; von daher ist es für mich schon Normalität.“
5.
Was für Menschen hast du getroffen und/oder kennengelernt?
FloKi: „Puh, das waren ziemlich viele. Da ich für das Programm zuständig war, habe ich alle Workshopleiter*innen kennengelernt. Da waren spannende Menschen dabei. Auch die Leute von Fläming Kitchen (http://www.wamkat.de/vokue), und dort vor allem Wam Kat, sind ganz besondere Menschen. Aber viel überraschender war, was anschließend passierte. Nämlich dass ich irgendwo in Berlin unterwegs war und mich Personen ansprachen, weil sie mich auf dem Camp gesehen haben. Das ist irgendwie ziemlich cool.“
Knut: „Ich habe einige Mitglieder aus dem Orga-Team näher kennengelernt.“
6.
Wie erklärst du dir, dass Fahrradfahren als Gemeinsamkeit genügt, ein Wochenende miteinander zu verbringen?
FloKi: „Ich glaube nicht, dass das genügt. Wir haben von Anfang an den DIY-Charakter des Camps in den Vordergrund gestellt. So haben wir vor allem Menschen angesprochen, die nicht nur konsumieren wollen und sich in ein gemachtes Nest setzen, sondern Menschen, die Lust haben, etwas mitzugestalten und die anpacken wollen –Menschen, die Teil von etwas sein wollen statt an etwas „nur“ teilzunehmen. Zudem haben wir sehr deutlich gesagt, dass wir diskriminierendes Verhalten jeglicher Art nicht dulden werden. Wir halten nichts von einer Querfront. Nazis, homophone Idiot*innen usw. können so viel Fahrrad fahren, wie sie wollen, sie haben keinen Platz an einem Ort wie dem FRE!LAUF –DIY Bike-Camp.
Knut: „Ich denke die Menschen, die auf dem Festival waren, sehen Fahrräder nicht nur als reines Fortbewegungsmittel. Einige sind Technik-Nerds, andere sehen Fahrradverkehr als politisches Thema (In was für einer Umgebung möchte ich leben? Wie sieht die Stadt von morgen aus?).“
7.
Hast du auch schlechte Erfahrungen gemacht?
FloKi: „Ja, vor und während des Camps. Während des Camps wurde uns die Anlage geklaut. Wir waren da ein bisschen naiv und hatten die Anlage nicht eingeschlossen. Letzten Endes ist es halb so wild, da wir genügend Geld eingenommen haben, um das auffangen zu können. Vor dem Camp war es krass, wie viele Steine einem von behördlicher Seite in den Weg gelegt wurden. Noch eine Woche vor dem Camp war es unklar, ob es überhaupt stattfinden wird.“
Knut: „Nein, ich bin sehr zufrieden mit dem Festival.“
FloKi steht quasi schon in den Startlöchern für seine Fahrrad-Weltreise. Die nächste Auflage des FRE!LAUF genauso – vom 22. bis 25. August 2019 und dieses Mal in der Ostprignitz. Informationen unter: http://mitradgelegenheit.org/freilauf/
8.
Wird man dich als Überraschungsgast erwarten können? Wenn nicht, wie fühlt es sich an, sein „Baby“ so schnell allein zu lassen?
FloKi: „Nein, leider nicht. Es sei denn, ich verletzte mich auf meiner Radtour und komme früher zurück; darauf habe ich aber gerade keine Lust. Und es ist ja nicht mein „Baby,“ sondern das „Baby“ eines 15-köpfigen Orgateams. Aber klar, ich habe viel mitorganisiert und es ist schade, bei der Fortsetzung nicht dabei sein zu können. Auf der anderen Seite ist es großartig, zu sehen, dass wir mit dem FRE!LAUF einen Ort erschaffen haben, an dem wir unsere Visionen und Utopien ausleben können und der personenunabhängig weiterlebt. Besser geht es eigentlich gar nicht.“
Was nimmst du fürs nächste Jahr mit bzw. was wünschst du dir anders? Wirst du wieder dabei sein?
Knut: „Ja, ich werde wieder dabei sein. Und ich möchte bis dahin ein richtig gutes Lastenrad selbst bauen!“
Das Festival war von Anfang an unkommerziell geplant – gezahlt wurde nach eigenem Ermessen. Vielfalt und Partizipation standen im Vordergrund, die Küfa (Küche für alle) kochte vegan, jeder hat dafür gesorgt, dass wenig Müll entsteht bzw. entsorgt wird und nicht zuletzt ging es ums Fahrrad, einem der umweltfreundlichsten Verkehrsmittel.
9.
Ist das Festival politisch?
FloKi: „Nein und Ja. In erster Linie geht es nur um das Fahrrad und das ist ja eher unpolitisch. Auf der anderen Seite können wir uns in der heutigen Zeit nicht erlauben, keine Stellung zu beziehen. Wie schon erwähnt, dulden wir auf dem FRE!LAUF kein diskriminierendes Verhalten jeglicher Art. Das FRE!LAUF ist kein Ort für Nazis. Es ist viel mehr ein Ort, um alternative Formen des Zusammenleben auszuprobieren. Wie viele Festivals kennst du, auf dem die Besucher*innen Toiletten- und Barschichten übernehmen müssen, sie beim Schnippeln vom Gemüse helfen, sie den Abwasch machen oder spontan einen Vortrag oder Workshop geben?“
Knut: „Ja, siehe Frage 6.“
10.
Sag mir etwas, dass ich nicht gefragt habe, du aber unbedingt noch erzählen musst!
FloKi: „Leute, es geht weiter! Auch 2019 wird es ein FRE!LAUF geben. Wenn ihr mit organisieren wollt, kommt zu den Orga-Treffen. Jede*r kann kommen (Informationen auf facebook.com/mitRADgelegenheit oder fahrrad-bande.org). Wenn ihr eine Idee für einen Workshop, Vortrag oder eine Band habt, dann schreibt uns eine E-Mail (freilauf@fahrrad-bande.org). Wir freuen uns auf euch und eure Ideen. Das FRE!LAUF –DIY Bike-Camp wird das sein, was wir daraus machen!
Das gilt aber auch außerhalb des FRE!LAUF Camps: Wenn ihr Lust habt, eine Filmvorführung, einen Vortrag oder eine Diskussionsrunde in Berlin zu organisieren, dann schreibt uns an und wir schauen gemeinsam, wie wir das in die Tat umsetzen können.“
Knut: :)
Yvonne Hagenbach engagiert sich ehrenamtlich für Changing Cities und das Netzwerk Fahrradfreundliches Neukölln. Mit unter anderem Florian Keiper betreut sie die Vernetzungstreffen der Berliner Fahrradinitiativen und setzte sich für deren Präsenz auf den Berliner Fahrradmessen 2017 und 2018 ein. Hierüber wurde sie Teil des FRE!LAUF-Orgateams; vor allem beim Aufbau und bei der Durchführung.
„Wir saßen eigentlich zusammen, um die nächste Messe zu planen, als FloKi uns das erste Mal von der Idee, ein Fahrradfestival zu veranstalten, erzählt hat. Wir waren sofort Feuer und Flamme. Aber als er meinte, das solle nächstes Jahr stattfinden, dachten wir: No way. Bin ich froh, dass er nicht auf uns gehört hat. So abgenudelt der Spruch auch ist, er stimmt: Alle haben gesagt, es geht nicht und dann kam einer, der wusste das nicht.
Und auf einmal fing alles an. Ich habe an nur zwei (von sicherlich zehn bis 20) Orgatreffen teilgenommen, war dann aber erst die Woche vor dem Festival auf dem Gelände, um aufzubauen. Ich kannte die meisten Leute nicht, aber das war nach wenigen Minuten unwichtig. Ich habe mehrere Quadratmeter Hecke mit Flatterband umspannt, weil die Behörden diesen Schutz für Lurche gefordert haben. Obwohl ich nicht verstanden habe, wieso das hilft, habe ich das im Team erledigt und dabei jemanden und seine Geschichte kennengelernt, wie es kein Kneipengespräch vermocht hätte. Über nur zwei Tage herrschte ein Gefühl der Gemeinschaft, das nicht abbrach, als die Besucher*innen kamen.
Ich kann das Gesagte der Interviewten nur unterstreichen; es war sehr besonders, wie respektvoll alle miteinander umgegangen sind. Es gab keinen Moment, an dem ich lieber zu Hause gewesen wäre und das ist auf Festivals eher Standard. Wenn ich an die Dixie-Toiletten der früheren Rock-am-Ring-Festivals denke, dann steht diesem Memo nun die Erfahrung gegenüber, dass es bei den Menschen der FRE!LAUF-Toilettenschicht immer noch einen Drink abzustauben gab, den man bei Backstreet Boys’ „Quit Playing Games“ quatschend und tanzend konsumieren konnte. Nicht dass es wenige spektakuläre Geschichten gäbe, aber hervorheben will ich die Band „Esels Alptraum“ und die Leute von „Nonstop Schwitzen“ (https://vimeo.com/nonstopschwitzen). Die einen jodeln herzerwärmend politisch, die anderen haben (oder wollen?) selbst moderierend über Megaphon überhaupt keinen Überblick, wer beim Kinderfahrrad-Rennen vorne liegt – das aber in bestem nordischen Dialekt und so derb-komisch, dass es eigentlich egal ist.
Gelernt habe ich viel; vor allem das geht, was man versucht.“
Zum Ticketverkauf für das FRE!LAUF 2019
Bilder: © Kristoffer Schwetje