Ute Symanski feiert Erfolg von Aufbruch Fahrrad

Vom Radentscheid zum Radgesetz für NRW – ein Interview mit Ute Symanski

Dr. Ute Symanski ist Vorsitzende des Kölner Vereins RADKOMM e.V. und Initiatorin der Volksinitiative Aufbruch Fahrrad. Die Organisationssoziologin, Beraterin und politische Aktivistin erzählt im Interview mit fahrrad-initiativen.de, wie die Initiative zustande kam, verrät ihr Erfolgsrezept des breiten Bündnisses und gibt einen Ausblick darauf, wie es in Nordrhein-Westfalen jetzt weitergeht auf dem Weg zu einem Radgesetz.

Ein Interview von Rinus Heizmann

 

Gab es einen konkreten Anstoß für die Idee einer Volksinitiative? Wie muss man sich die Initialzündung vorstellen?

Die Idee zu Aufbruch Fahrrad entstand 2016 auf unserem Kongress RADKOMM in Köln. Heinrich Strößenreuther war als Vertreter des Volksentscheids Fahrrad Berlin zu Gast und stellte vor, was der Volksentscheid Fahrrad in Berlin alles machte. Da dachten wir: Genau so etwas brauchen wir in NRW auch. Wir sahen, wie viele lokale Initiativen für nachhaltige Mobilität und für mehr Fahrrad es in NRW gab, und wie sehr die auf kommunaler Ebene kämpfen mussten, um in ihren Städten Verbesserungen zu erreichen. Genau wie in Köln: Hier gibt es jede Menge Ideen, aber zu wenig Mut und Weitsicht in Politik und Verwaltung, um die Stadt wirklich zu verändern. Wir suchten nach einem Instrument, das den Städten und Kommunen Rückenwind von oben geben würde, und wollten der Politik zeigen, wie viele Menschen sich für eine nachhaltige Mobilität engagieren. So kamen wir auf die Idee, ein NRW-weites Projekt zu starten: die Geburtsstunde von Aufbruch Fahrrad. 

Wie lange hat der ganze Prozess gedauert, von der ersten Idee bis zur Übernahme Eurer Forderungen durch den Landtag?

Die erste Idee hatten wir im Juni 2016. Die Annahme der Forderungen von Aufbruch Fahrrad durch den NRW-Landtag war am 18. Dezember: also dreieinhalb Jahre.

Was hat Euch so erfolgreich gemacht und wie ist es gelungen, ein solch breites Bündnis zu mobilisieren? 

Aufbruch Fahrrad ist so erfolgreich, weil es so viel mehr ist als „nur“ eine Volksinitiative. Wir haben Aufbruch Fahrrad vor allem als Kampagne konzipiert. Das heißt, wir haben vor dem Start der Unterschriftensammlung für Aufbruch Fahrrad ein Logo entwickelt, ein Corporate Design, eine eigene Bildsprache, also die Marke Aufbruch Fahrrad geschaffen. Damit wollten wir einen Wiedererkennungseffekt schaffen und erreichen, dass das Logo von Aufbruch Fahrrad in ganz NRW auftaucht: in den Medien, via Aufkleber im öffentlichen Raum, auf Fahrrädern. Ein weiterer Erfolgsfaktor war unsere intensive Öffentlichkeitsarbeit. In NRW gibt es nicht das eine Leitmedium, das alle erreicht und Dich bekannt macht. Wir haben viel Zeit investiert und immer wieder lokale Medien adressiert. Drittens hat zum Erfolg geführt, dass Aufbruch Fahrrad eine Mitmach-Kampagne war. Ein Beispiel: Wir haben ein Plakat erstellt, das im oberen Bereich das Logo von Aufbruch Fahrrad hatte. In der Mitte aber gab es eine große weiße Fläche. Die konnten die Aktivist*innen in NRW so füllen, wie sie wollten. Das hat irre viel Kreativität freigesetzt. Manche haben Slogans auf Kölsch hineingeschrieben, manche ganz konkrete Forderungen für ihre eigene Stadt, andere haben Bilder hinein gemalt. Wir wollten erreichen, dass alle das Gefühl haben, sie können Aufbruch Fahrrad für sich vor Ort wirklich nutzen. Und das Aktionsbündnis zu schmieden, das war echte Netzwerkarbeit und Beziehungsarbeit. Wir haben sehr viele Termine vereinbart, haben Gespräche und Telefonate geführt, um die Verbände einzuladen. Als wir die großen Akteure wie ADFC NRW, VCD NRW, NABU NRW, BUND NRW und Greenpeace an Bord hatten und eine Reihe von lokal starken Akteuren, ab so einem Punkt lief es dann von selbst und viele Akteure meldeten sich von sich aus, um beim Aktionsbündnis dabei zu sein.

Was können andere Radentscheide und zukünftige Volksinitiativen und Bürgerbegehren von Euch lernen?

Ich denke, alle Radentscheide werden ihren eigenen Weg entwickeln, und der wird genau richtig sein. Ich persönlich würde empfehlen, konsequent konstruktiv und wertschätzend zu kommunizieren und positive Bilder in den Köpfen der Menschen auf der Straße, in Politik und Verwaltung zu erzeugen. Ich sehe die Kraft eines Bürger*innenbegehrens oder einer Volksinitiative darin, dass diese Mittel der direkten Demokratie Menschen verbinden, sie an einem gemeinsamen Ziel arbeiten lassen, und zwar Menschen, die sonst vielleicht nicht unbedingt zusammenarbeiten würden. Damit hat direkte Demokratie die Kraft, Gräben zu überwinden, die es in der Stadtgesellschaft gibt. Also: nie meckern, nie versuchen, Angst einzujagen oder Druck zu machen, sondern einladen, Menschen gewinnen, Menschen überzeugen. 

Wie geht es jetzt weiter, nachdem der Landtag Eure Forderungen übernommen hat? Wie begleitet Ihr den Weg zum Radgesetz und welche Hindernisse seht Ihr dabei? 

Direkt nach dem Termin im Landtag kam der zuständige Referatsleiter aus dem Verkehrsministerium auf mich zu, um einen Termin zu vereinbaren, um zu besprechen, wie wir, wie die Akteure von Aufbruch Fahrrad den Weg zum Fahrradgesetz begleiten könnten. Das war ein starkes Signal und zeigte uns, dass das Verkehrsministerium es wirklich ernst meinte, mit uns weiter in gutem Kontakt zu bleiben und den Weg weiter gemeinsam zu gehen. Wir konnten das Verkehrsministerium überzeugen, auch die großen Umweltverbände in den Prozess mit einzubeziehen. BUND NRW und NABU NRW sind also dabei. Das fand ich sehr positiv. Das Ministerium organisiert nun sogenannte Stakeholdertreffen, zu dem es über 30 Vereine und Verbände im Mobilitätssektor einlädt, darunter auch der ADAC, die AGFS oder die Verkehrsverbünde. Im ersten Treffen am 22. Januar konnten alle diese Verbände sich dazu äußern, wie sie zu den Forderungen von Aufbruch Fahrrad stehen, welche Anregungen sie zu den neun Forderungen haben, welche Fragen. Das Verkehrsministerium verarbeitet alle diese Informationen und wird etwa im Mai ein allererstes Eckpunktepapier für das Fahrradgesetz vorlegen. Ich sehe keine Hindernisse auf dem Weg zum Gesetz. Ich sehe aber die Herausforderungen. So ein Gesetz ist sehr komplex. Was darf das Land überhaupt gesetzlich vorschreiben? Unter welchen Voraussetzungen darf es den Kommunen gesetzliche Vorgaben machen? Welche Gesetzeswerke gibt es schon? Wie können die neun Forderungen in Gesetzessprache überführt werden? Ich habe verstanden, dass selbst ein Ministerium ein solches Gesetz nicht alle Tage schreibt und dass das ein Prozess ist, der einfach Zeit und sehr viel Hirnschmalz braucht. Gleichzeitig merke ich, dass das Ministerium das Verfahren voran treibt auch deshalb, weil es vor den nächsten Wahlen das Fahrradgesetz als Erfolg vorweisen möchte. Das finde ich gut!

Ab wann glaubt und hofft Ihr, können Radfahrende in NRW Verbesserungen infolge der erfolgreichen Volksinitiative spüren?

Schon jetzt spüre ich den anderen Wind, der weht. Ich spüre, das unser Agenda-Setting wirkt, das wir mit der Kampagne Aufbruch Fahrrad betrieben haben, natürlich auch durch den Rückenwind von Fridays For Future und den Schrecken der Klima-Erhitzung und durch das Erstarken der Radentscheidbewegung in ganz Deutschland. Aber eben auch durch unsere Kommunikationsarbeit berichten viel mehr Medien über Aufbruch Fahrrad und über nachhaltige Mobilität. Ich merke immer wieder den großen Respekt seitens der Politik vor den 207.000 Stimmen, die hinter Aufbruch Fahrrad stehen. Mein Eindruck ist, dass das Fahrrad viel mehr als Teil der Lösung von Verkehrs- und Umweltproblemen gesehen und ernstgenommen wird. Und nun stehen in NRW die Kommunalwahlen bevor und es entstehen neue Radentscheide in den Städten. Die wiederum werden die Verkehrsplanung in den Städten konkret verbessern. Deshalb antworte ich: Die Veränderung, sie ist schon da! Und gleichzeitig ist es noch ein sehr weiter Weg, bis das Autoland Deutschland eine echte Mobilitätswende geschafft hat. Also ist auch noch irre viel zu tun, was vor uns liegt und gemeinsam werden wir weitere Veränderungen bewirken.
 

Foto: RADKOMM