Ein Fahrrad in freier Wildbahn

Freiheit auf zwei Rädern – Fahrradreisen im Corona-Sommer

Ein Überblick von Simon Reuter

Fast 80% der Deutschen unternehmen mindestens einmal pro Jahr eine Urlaubsreise von fünf Tagen und mehr – viele sogar deutlich häufiger und länger. Doch ob der Ferienflieger nach Mallorca oder ein Pauschalurlaub im Strandhotel in diesem Jahr wirklich eine so gute Idee sind, darüber gehen die Meinungen auseinander. Informationen über Grenzöffnungen und Reisebeschränkungen ändern sich fast täglich und viele sind verunsichert, ob eine klassische Urlaubsreise in diesem Jahr überhaupt möglich sein wird. Doch der Sommerurlaub muss deshalb noch lange nicht abgeschrieben werden, denn direkt vor der Haustür wartet in ganz Deutschland eine sehr lohnende Alternative.

Die Rede ist vom Fahrrad-Tourismus. Rund fünfeinhalb Millionen Bundesbürger*innen schwangen sich zuletzt jährlich im Rahmen einer Radreise auf den Drahtesel – und das schon vor der COVID-19-Pandemie. In diesem Jahr könnten sogar noch mehr Menschen ihren Sommerurlaub auf den Radweg verlegen, sagt Hartmut Rein, Professor für Tourismus und Destinationsmanagement an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde: “Auch wenn wir – oftmals sicher auch aus finanziellen Gründen – allgemein eine Zurückhaltung im Reiseverhalten erwarten, werden in diesem Jahr wahrscheinlich mehr Menschen auf den Radfernwegen unterwegs sein.” Die Gründe dafür liegen auf der Hand: “Beim Fahrradfahren hält man ja automatisch einen entsprechenden Abstand, daher ist es eigentlich die ideale Möglichkeit, Gefährdungen aus dem Weg zu gehen.” Der Urlaub auf zwei Rädern ist dabei längst nicht nur etwas für ambitionierte Radsportler*innen. “Ganz im Gegenteil,” so Rein, “man kann sich das schließlich einteilen und entscheiden, wie schnell man fährt und ob es in die Berge oder eben ins Flachland geht. Für alle, die schon einen Zugang zum Radfahren haben, vielleicht schon einmal eine Tages- oder Wochenend-Tour gemacht haben, für die ist eine Radreise in diesem Jahr auf jeden Fall eine gute Alternative, solange andere Reisemöglichkeiten noch nicht wieder bestehen.”

Wer das mit dem Fahrrad-Urlaub erst einmal vorsichtig ausprobieren möchte, für den empfiehlt sich zum Beispiel eine Ferienwohnung oder fahrradfreundliche Unterkunft in einer landschaftlich reizvollen Region. Von dort lassen sich dann kürzere und längere Tagestouren mit dem Fahrrad unternehmen. Aber auch ohne viel Vorerfahrung darf man sich durchaus an eine “Streckentour” wagen, sprich mit dem Fahrrad von Ort zu Ort fahren und das Quartier täglich neu aufschlagen. Einen guten Anhaltspunkt bietet dabei das in Deutschland geradezu einzigartige Netz an Radwanderwegen. Diese verlaufen auf Grund der günstigen Geographie und der landschaftlichen Schönheit oftmals entlang von Gewässern, wo wenig Höhenmeter zu überwinden sind und regelmäßig Ortschaften mit Übernachtungs- und Verpflegungsmöglichkeiten passiert werden. Die beliebtesten Fernradwege hierzulande führen etwa entlang der Weser, der Elbe, der Donau oder um den Bodensee. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) bemüht sich seit einigen Jahren um ein einheitliches Gütesiegel für Fernradwege und bewertet ausgewählte Qualitätsradwege mit bis zu 5 Sternen – wer sich für einen dieser Wege entscheidet, macht sicherlich nichts verkehrt. Eine Auswahl besonders lohnender Wege findet sich auf der Website des ADFC.

Viele etablierte Radfernwege werben mit einer eigenen Website im Internet. Hier finden sich zumeist auch Empfehlungen für einzelne Tagesetappen. Wie weit und wie lange man täglich in die Pedale treten möchte, hängt aber natürlich ganz individuell von Fitness, Ehrgeiz und Laune ab. Wer gemütlich die Landschaft erkunden und unterwegs Sehenswürdigkeiten besuchen möchte, ist mit rund 60 Kilometern pro Etappe schon gut bedient, während ambitionierte Radreisende auch 100 Kilometer und mehr am Tag zurücklegen. Auch die Wahl des Fahrrads spielt eine Rolle– und das muss keineswegs ein teures Profi-Gerät der neuesten Generation sein. Vor einer Radreise sollte man den Drahtesel dennoch unbedingt einmal für einen Rundum-Check zum örtlichen “Fahrrad-Doktor”, also dem Fahrradgeschäft um die Ecke, bringen. Dort bekommt man üblicherweise auch eine kompetente Einschätzung, ob das eigene Zweirad den Ansprüchen der gewählten Tour entspricht. Wer dem eigenen Alltags-Fahrrad einen gelungenen Fahrrad-Urlaub nicht zutraut, muss deshalb allerdings noch lange nicht hunderte oder gar tausende Euro in ein neues Trekkingrad investieren. Bei vielen Fahrradläden lassen sich zu sehr angemessenen Preisen geeignete Touren-Räder mieten. Auch Fahrradtaschen, Helme und sonstiges Zubehör kann man dort oft preisgünstig leihen – sinnvoll und nachhaltig, vor allem, wenn man nicht regelmäßig größere Touren plant.

Eine gute Möglichkeit, die tägliche Reichweite zu erhöhen und für mehr Genuss und weniger Beinmuskelkater zu sorgen, sind E-Bikes bzw. Pedelecs. Lange Zeit eher als Senioren-Fortbewegungsmittel für den Alltag abgetan, liegen die Fahrräder mit Hilfsmotor dank technischer Innovationen derzeit total im Trend und werden bereits von 29% aller Radreisenden in Deutschland genutzt – Tendenz stark steigend. Dank verbesserter Akku-Technologien und kostenfreier Ladestationen entlang vieler Radwege lassen sich damit heutzutage problemlos auch lange Tagesetappen deutlich müheloser meistern. Auch hier gilt: Es muss nicht gleich die Neuanschaffung sein. Wer das Fahrradreisen mit dem E-Bike erstmal ausprobieren möchte, sollte auch hier auf ein Leih-Fahrrad setzen.

Bei der Planung der Tour ist eine Frage natürlich zentral: Wo will ich übernachten? Die Empfehlung geht hier ganz klar zu den vom ADFC zertifizierten bett+bike-Unterkünften. Diese befinden sich in direkter Nähe aller wichtigen Fernradwege und sind auf die speziellen Bedürfnisse von Radreisenden eingestellt. Gerade in der Hauptreisezeit sollte nach Möglichkeit aber natürlich vorab reserviert werden. Ein guter Begleiter ist die mobile Fahrrad-App von bett+bike, in der relevante Unterkünfte schnell und einfach gefunden und kontaktiert werden können. Sogar bei der Navigation zur gewählten Unterkunft hilft die App. 

A propos Navigation: Zwar sind die Radwanderwege in Deutschland in der Regel gut ausgeschildert, dennoch bieten digitale Angebote mittlerweile sehr einfache und hilfreiche Unterstützung vor und während des Radurlaubs. Komoot und Outdooractive verfügen beide über eine Plattform, auf der mittlerweile tausende von Nutzer*innen eingestellte Fahrradtouren alleine in Deutschland abrufbar sind – von der gemütlichen Erkundungsrunde bis zur ehrgeizigen Alpenüberquerung ist da alles dabei. Beide Apps bieten eine kostenfreie Basisversion. Für die auch offline verfügbare Navigation unterwegs werden dann allerdings Premium-Gebühren fällig.

Übrigens: Auch mit Kindern kann man durchaus einen Fahrradurlaub planen und genießen. Natürlich müssen Anforderungen, Etappenlänge und Rahmenprogramm entsprechend angepasst werden. Größere Kids schaffen durchaus vergleichbare Tagesetappen wie die Erwachsenen und für die ganz Kleinen bietet sich ein sicherer Fahrradanhänger an – der die Reisegeschwindigkeit allerdings etwas drosselt. Hier gilt in besonderem Maße: vorab ausprobieren! Eine Wochenend-Fahrradtour mit kleinem Gepäck und einer Übernachtung gibt einen ganz guten Eindruck darüber, ob und in welchem Umfang eine Radreise eine gute Option für die Sommerreise ist. 

Das Schöne am Sommerurlaub im Sattel ist auch, dass er deutlich spontaner und flexibler möglich ist als die klassische Fernreise an den Strand. Angesichts des großen Angebots an gut erschlossenen Radwanderwegen im deutschsprachigen Raum kann der Urlaub eigentlich in ganz Deutschland vor der eigenen Türe beginnen. Gerade in Zeiten von Corona, wo langfristige Urlaubsplanungen nur schwer möglich sind, ist das ein klarer Vorteil: Die eigene Region wird zur Abenteuer-Destination, zu anderen Reisenden wird quasi automatisch Abstand gehalten und sollte es doch noch einmal zu einer Verschärfung der Reisebeschränkungen kommen, fällt der Urlaub deshalb nicht automatisch flach.

Zu überfüllten Radwanderwegen dürfte es in diesem Sommer dennoch nicht kommen: Bei über 40.000 Kilometer Radwegenetz in Deutschland und mittlerweile hunderten bekannten Radwanderwegen verteilt sich die Nachfrage recht gut – vom “Overtourism der Drahtesel” sind wir also noch ein ganzes Stück entfernt. Die positiven Effekte, die der Radtourismus für den Einzelnen mit sich bringt – viel Bewegung, an der frischen Luft sein, ein Gefühl der Entschleunigung – haben dabei auch einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen: Fahrradurlaube sind umweltfreundlich und klimaschonend, wie die Fahrradmobilität allgemein. Der ADFC fand kürzlich heraus, dass 40% aller Radtourist*innen auch nach dem Urlaub im Alltag mehr Fahrrad fahren. Die Corona-Krise birgt damit eben auch die Chance, Konsum- und Reiseverhalten nachhaltig zu verändern. Professor Hartmut Rein von der Hochschule Eberswalde sieht das ähnlich: “Ich könnte mir das gut vorstellen, dass sich das auch positiv auf den Radtourismus auswirkt. Man gewöhnt sich an das Fahrrad, man schätzt das plötzlich, merkt, wie mobil man damit ist. Ich denke, das ist ein bisschen wie mit der Digitalisierung, wo man festgestellt hat, dass man ja doch tatsächlich Online-Meetings statt unnötiger Dienstreisen machen kann. So wie sich in diesem Bereich etwas bleibend verändert hat, so kann sich das auch in der Fahrradmobilität und konkret im Radtourismus verhalten. Es haben jetzt einfach mehr Leute einen Zugang zum Fahrrad.”